Impressionen aus Binzen

Die Entstehung des GVVs

Wir haben heute keine Vorstellung mehr davon, wie aufgeregt und spannend die Jahre der Verwaltungsreform in Baden-Württemberg für die betroffenen Gemeinden waren. Kein Tag ohne Top-Nachricht in den Redaktionen der Lokalzeitungen, kein Pressetermin ohne die geheimnisumwittert weitergereichte Insiderinformation: Jetzt sei es raus, A müsse mit B, weil C freiwillig nach D gehe und dafür einen Schulneubau, die Gemeindehalle und den Anschluss an die Kläranlage geschenkt bekomme.... Das Land und seine damalige große Koalition hatten sich vorgenommen, mit dem „Gesetz zur Stärkung der Verwaltungskraft kleinerer Gemeinden“ die Chancengleichheit und Ausstattung mit Fachbeamten auf breitester Ebene zu verbessern. Und damit wurde sicher die richtige Lehre aus der Einsicht gezogen, dass der ländliche Raum im Zuge der gesamtgesellschaftlichen Modernisierung immer weiter ins Hintertreffen geraten wäre.

Überforderte Zwergverwaltungen, veraltete Organisationsformen, an der Schwelle zum Zeitalter der weltweiten EDV-Vernetzung: Man muss diesen Überlegungen, die so viel Wirbel in den ländlichen Gemeinden ausgelöst haben, eine gewisse Weitsicht und Gültigkeit zusprechen, auch wenn sie die Fragen der dörflich kulturellen, ja mancher kleinstädtischen Identität leichtfertig vom Tisch wischte. Inseln der Seligen haben die Zwangseingemeindungen eigentlich nirgendwo erzeugt, das lässt sich heute mit Bestimmtheit sagen. Und dass es in machen Fällen zu ständigen latenten Querelen kommt, hat sicher damit zu tun, dass bei dieser Reform nicht immer Rücksicht auf geschichtlich gewachsene Grundstrukturen genommen wurde.

Das Vordere Kandertal hat, wie man weiß, zur Zufriedenheit aller Beteiligten einen anderen Weg gewählt. Bestärkt durch den damaligen Landrat Bechthold, suchten die Bürgermeister der Kandertalgemeinden schon früh die Möglichkeit der Gründung eines Verwaltungsverbands, der „als das kleinere Übel“ angesehen wurde. Es war klug gewesen, in diesem den ganzen Landkreis umstülpenden Gemeinde-Poker sich auf die eigenen Möglichkeiten zu besinnen. Lörrach und Weil am Rhein drängten auf Expansion, um ihre Zentrumsfunktion zu stärken. Ötlingen, Märkt und Wollbach wurden zunächst Verhandlungspartner, orientierten sich dann aber anders, so dass Anfang April 1971 die Gemeinden Binzen, Eimeldingen, Fischingen, Rümmingen, Schallbach und Wittlingen dem Landratsamt schließlich ihren Entschluss bekannt gaben, den Verwaltungsverband „Vorderes Kandertal“ zu gründen.

Die Einwohnerzahl war zu diesem Zeitpunkt noch das große Fragezeichen. 5000 Einwohner sollte ein Verwaltungsraum mindestens haben – das hätte rein rechnerisch ohne Wollbach nicht geklappt, aber die Zuwachsraten von über 20 % waren ja bereits absehbar und wurden durch den realen Zuwachs ständig überholt. „Wir sind fest entschlossen, den Verband noch vor dem 1. Juli 1971 auf die Füße zu stellen und werden alles daran setzen, zu diesem Zeit-punkt Grünes Licht zu bekommen“, zeigten sich die Bürgermeister Schweigler (Binzen) und Götzmann (Eimeldingen) entschlossen.
 

Gründungsversammlung war am 21.10.1971

Am 5. August 1971 war es dann so weit, dass die Lokalpresse titeln konnte: „Schriftliche Genehmigung für die Verwaltungsgemeinschaft Kandertal liegt vor“. Das Innenministerium hatte der Verbandsgründung unter dem Vorbehalt zugestimmt, dass Wollbach jederzeit noch dem Verband beitreten könne, „wenn er das wünscht“. (Wollbach hatte im Gemeinderat eine Pattsituation von 5:5 Stimmen in der Beitrittsfrage erlebt und kam ja später in der Zielplanung des Landes nach Kandern). Man kann sich die Erleichterung im vorderen Kandertal nach der Stuttgarter Frohbotschaft vorstellen. „Wir sahen uns an unserem ersten Ziel. Der Verband konnte gegründet werden“, protokollierte in der akribisch genau geführten Chronik der ersten Verbandszeit Ratschreiber Wunderlin aus Binzen. Am 21. Oktober trafen sich Landrat Bechthold und die Bürgermeister Schweigler, Götzmann, Bürgin (Fischingen), Frey (Rümmingen), Schneider (Schallbach) und Sütterlin (Wittlingen) mit Abgeordneten und weiteren Vertretern der kommunalen Politik zur Gründungsversammlung des Gemeindeverwaltungsverbandes „Vorderes Kandertal“

Es sollte die Freude nicht ungetrübt bleiben. Obwohl „verbrieft und besiegelt“, musste der Verwaltungsverband im Januar 1973 erfahren, dass „beim Innenministerium geplant sei, den Verband aufzulösen, die sechs Gemeinden zu einer Einheitsgemeinde zusammenzuschließen, um diese als Teilverwaltungsraum der Stadt Weil zuzuschlagen“. Die Empörung ging verständlicherweise hoch, bis im Februar schließlich die Besitzstandsgarantie aus Stuttgart kam, und das Gespenst „Teilverwaltungsraum“ in der Schlussfassung der Gemeindereform vom Tisch war.

Die historische Wende in Baden-Württemberg war vollzogen. Und Ratschreiber Wunderlin kommentiert nicht ohne Sarkasmus Großes Heulen und Zähneknirschen hörte man aus vielen zwangseingemeindeten Gemeinden.

Zu diesem Zeitpunkt war der Verbandsalltag im Rathaus von Binzen längst eingekehrt. Ein wenig beengt (bis zum Freiwerden der Lehrerwohnungen im zweiten Stock), aber doch von allem Anfang an effektiv. Der Verband hatte vereinbarungsgemäß Verwaltungsangestellte der Mitgliedsgemeinden übernommen und seine neuen Büroräume „geschmackvoll tapeziert und mit hellen freundlichen Stores versehen“ (BZ vom 21.06.72). Wichtiger als diese kosmetischen Begleiterscheinungen ist freilich die Tatsache, dass in der ersten Verbandsversammlung vom 08.12.71 Bürgermeister Robert Götzmann als Verbandsvorsitzender und Bürgermeister Fritz Schweigler als sein Stellvertreter gewählt worden waren. Ein überaus erfolgreiches Gespann, das die Geschicke des Verbands über Jahrzehnte mit der richtigen Mischung aus Rücksichtnahme und Durchsetzungskraft zu leiten verstand. Eimeldingen und Binzen, die beiden größten Mitgliedsgemeinden, stellten somit die Führungsriege, die wiederum durch die Verbandsversammlung jederzeit kontrolliert und korrigiert werden konnte, denn jedes Mitglied hat gleichberechtigt seine zwei Stimmen im Gremium.

Eine praktikable Lösung, wie die Jahrzehnte bewiesen haben. Denn mit tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten und medienwirksamem Personalgerangel hat der Verwaltungsverband Zeit seines Bestehens noch kein Aufsehen erregt. Dass es heute „ein Nebeneinander von gesundem Konkurrenzdenken“ zwischen den Mitgliedsgemeinden gibt, bestätigt Ulrich May, der jetzige Vorsitzende, der auch betont, dass der Verband gegenüber den Gemeinden „dienende Funktion“ hat. Und wer in diesem Verband die Frustration einkassierter Gemeinden samt einflussschwachen Ortschaftsrat sucht, die da und dort in zwangseingemeindeten Ortsteilen anzutreffen ist, der liegt ganz falsch zwischen Eimeldingen und Wittlingen. Das gibt nachträglich den Gründervätern recht.

So war nach wenigen Jahren – auch dank der engagierten Arbeit Hans Wunderlins – die Normalität eingekehrt, die jede reibungslos funktionierende Verwaltung kennzeichnet: Organisation der Müllabfuhr, Pflege der Gemeindeverbindungsstraßen, Ergänzung und Modernisierung des Fahrzeugparks wie der inneren Verwaltung, die schon bald an das Freiburger kommunale Rechenzentrum angeschlossen wurde.
 

Bevölkerungsstatistik - Zuwachsrate von rund 35 %

Um so außergewöhnlicher geriet dafür die Entwicklung der Bevölkerungsstatistik in den siebziger Jahren. Verzeichnete man bei Verbandsgründung 4908 Einwohner, so war diese Zahl zehn Jahre später auf 6612 Personen gewachsen. Das entspricht einer Zuwachsrate von rund 35 Prozent und hängt mit dem generellen Strukturwandel der Kandertalgemeinden zusammen. Dass dies aber für Planungen im Verband nicht folgenlos bleiben konnte, ist ebenfalls klar. 1974 beschloss man einen Flächennutzungsplan, der 1976 dann genehmigt wurde. Da der darin zugestandene Bevölkerungszuwachs bereits 1977 erreicht war, am es 1978 zur Fortschreibung und Ergänzung um den „inneren Bedarf“ an Bauland. Es waren das die Jahre der höchsten wirtschaftlichen Prosperität – aber die Wachstums-Bäume sollten ja, wie wir heute wissen, nicht endlos in den Konjunktur-Himmel wachsen.
 

Generartionenwechsel im Verbandsgebiet

Womit wir in der Gegenwart wären. Wir geben den roten Faden der Ver-bandsgeschichte aus der Hand (wohl wissend, dass allein die personellen Wechsel, die glückhaften oder vergeblichen Anläufe rund um die jeweiligen Bürgermeistersessel allein ein Buch füllen könnten)- Dass aber am 27. Mai 1989 im Verbandsgebiet ein grundlegender Generationswechsel begann, das dürfen wir in unserem kleinen Rückblick auf die Verbandsgeschichte nicht vergessen. Fritz Schweigler, Bürgermeister von Binzen und stellvertretender Verbandsvorsitzender (aus taktischer Weit- und Einsicht?), er wurde an diesem Tag in den Ruhestand verabschiedet. Der „Vater des Verbands“ (Robert Götzmann bei der Feier des 20-jährigen Bestehens), sein entschlossener Förderer und Lotse, er ging von Bord.

Sein Nachfolger wurde Ulrich May, der bis zur Verabschiedung von Robert Götzmann im Jahr 1993 Schweiglers Position einnahm. Am 12.02.93 trat auch Robert Götzmann, der „Architekt“ des Verwaltungsverbands sowie sein Vorsitzender von der ersten Stunde an, in den Ruhestand. („Sein Wort hatte Gewicht; sein Rat war stets gefragt“, Landrat Rübsamen in seiner Laudatio). Und nach einem kurzen Interregnum von Heinrich Benner an der Verbandsspitze wird der Verwaltungsverband heute von Ulrich May geleitet, dem Hansjörg Rupp (Eimeldingen) als Stellvertreter zur Seite steht. Die Stimme Rümmingens vertritt Heinrich Benner, Fischingens Peter Schmider. Für Schallbach votiert Rudolf Schöpflin und für Wittlingen Michael Herr.

Hans Wunderlin, Hauptgestalter des Verbandsgeschehens von Anfang an, er trat 1995 in den Ruhestand. Er muss sich vorgekommen sein wie Christoph Columbus, denn er wusste nicht wohin die Reise ging und auch nicht was ihn erwartete. Mit dem ihm eigenen Ehrgeiz und seiner vorbildlichen Pflichtauffassung hat es Hans Wunderlin geschafft, eine gut funktionierende Verbandsverwaltung auf die Beine zu stellen.“ Sein Nachfolger als Verbandsgeschäftsführer wurde Rudolf Schumacher. „Ich bin sehr froh, dass wir heute kein Eingemeindungsjubiläum feiern“, sagte Ulrich May beim 20. Geburtstag des Verbands im Jahr 1991, denn dann wäre es wohl eher ein Blick zurück im Zorn. So sind jedoch alle sechs Gemeinden zufrieden, dass sie ihre Eigenständigkeit bewahrt haben und ihre Entwicklung selbst in die Hand nehmen konnten.

Dem ist auch heute nichts hinzuzufügen.

  • Gemeindeverwaltung Binzen
  • Am Rathausplatz 6
  • 79589 Binzen
Durch die Nutzung dieser Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass unsere Dienste Cookies verwenden. Mehr erfahren OK